Anders sein – ich will zurück in meine Bubble!

Anders zu sein, ist schön. Stellt euch mal vor, Freddie Mercury wäre nicht anders gewesen, dann hätte es Queen so wahrscheinlich gar nicht gegeben. Oder Madonna? Die mit ihrem Anderssein ein Idol für sexuelle Freiheit, Emanzipierung und eine Stimme für die Queer-Community wurde. Durch deren Anderssein konnten viele andere Menschen ihr Anderssein ausleben und sich untereinander finden – sie konnten Bubbles schaffen und dort einfach sein. Bubbles sind super und auch nötig. Sie bilden sich im beruflichen und privaten Umfeld. Manche Menschen schaffen es, in beiden Bereichen in ihren perfekten Bubbles zu sein, was wirklich super ist. Ich gehöre nicht mehr zu diesen Menschen, aber ich gehörte mal dazu.

Ich liebte meine Bubble! Zehn Jahre habe ich insgesamt studiert – Geistes- und Sozialwissenschaften mit Fokus auf indische Sprache, Kultur und Gesellschaft. Zugegeben, die ersten sechs Jahre in den Geisteswissenschaften waren nicht der Hammer. Wenig kritische Auseinandersetzung mit kulturellen und gesellschaftlichen Themen, die Indien betrafen, dafür viel zu viel westliche Romantisierung der indischen Kultur: Yoga, Ayurveda, Meditation. Aber das Gute an einem Studium ist ja, dass sich dennoch immer ein Weg findet, um sein Ding zu machen und sich zum Glück auch Leute finden, die das ebenfalls tun. In den Sozialwissenschaften wurde es dann besser. Die Romantisierung war vorbei und wir haben uns kritisch mit indischer Politik, Kolonialgeschichte, Religion und Gesellschaft befasst und in Kontext unserer eigenen Kultur und Geschichte gesetzt. Unter uns Studierenden haben wir uns über all diese Themen ausgetauscht, reflektiert und informiert. Haben verstanden, dass wir nicht alles verstehen können und deshalb zuhören müssen. Dieses Studium hat mir gezeigt, mich anders mit mir in Bezug auf Feminismus und Rassismus auseinanderzusetzen und ermöglichte es mir, mich zu hinterfragen. Irgendwann ging es nicht mehr nur um Indien, es ging auch darum, was hier in Deutschland passiert – um den alltäglichen Rassismus und Sexismus.  

Antidiskriminierende Sprache wurde zur Gewohnheit. Es wurde nicht mehr über das Pro und Contra des Genderns geredet, es wurde einfach gemacht. Menschen wurden nicht gefragt, ob sie mit Fremdbezeichnungen angesprochen werden dürften, weil es ja nicht „so gemeint“ sei, es wurden einfach keine benutzt. Die Ebenen wurden höher, die Gespräche tiefgründiger, weil das Fundament klar war. Die letzten vier Jahre meiner Studienzeit haben also den krönenden Bubble-Abschluss gehabt. Aber irgendwann hört alles mal auf, vor allem wenn das Geld nicht mehr ausreicht, das dreißigste Lebensjahr überschritten ist und langsam der Studienkredit abbezahlt werden muss. Das ist dann der Moment, in dem die Bubble platzt bzw. meine Bubble geplatzt ist.

Vor einem Jahr habe ich einen Eight-to-five-Job im Online-Marketing bei einer kleinen Technikfirma angenommen. Die Rahmenbedingungen waren (sind auch immer noch) gut. Viele Old Sixties, eine entspannte und coole Chefin, sonst nur Männer, aber alles locker. Dann habe ich den Vertrieb kennengelernt und Good Bye, das wars endgültig mit der Bubble.

Bekloppte Vertriebsmeetings mit sexistischen Stammtischwitzen (noch keine rassistischen dabei, bis jetzt, Grundsatzdiskussionen über Fremdbezeichnungen allerdings schon) waren an der Tagesordnung. Es war wie Die letzte Instanz in Dauerschleife. „Ist doch nur Spaß“, „Meinen wir ja nicht so“, „Haben wir schon immer so gesagt“, „Ich habe auch schwarze Freunde“, blabla – ihr kennt das. Zeitweise war ich gefühlsmäßig wieder in meine Schulzeit zurückversetzt. Am Anfang wusste ich gar nicht warum, bis es mir klar wurde: Null Reflektion, Basic-Diskussionen über Sexismus und Rassismus, irgendwelche Heinis, mit denen man klarkommen muss und ständig jemand, der einem sagt, dass man nicht so frech sein solle und dass man eben auch mit Menschen klarkommen müsse, die man nicht möge. Super! Nicht nur meine Bubble war kaputt, sondern auch dieses frustrierende Gefühl nicht hineinzupassen, aber auch zu mainstream zu sein, um woanders hineinzupassen, war wieder da. Dieses Gefühl, dass du halt arbeiten und dich anpassen musst, egal ob du die Leute magst oder nicht.

Also was bringt mich dazu, es trotzdem auszuhalten und das eigene Anderssein nicht zu einem Problem werden zu lassen? Zuerst einmal, freue ich mich, dass ich anders bin als die Replika von Die letzte Instanz. Denn seriously, wer möchte dumm und scheiße sein? Dann habe ich meinem sexistischen Kollegen gesagt, dass er sexistisch sei und es in Zukunft unterlassen solle, diskriminierende Dinge zu sagen, zumindest wenn ich dabei bin. Was er sagt, wenn ich nicht dabei bin, kann ich ja nicht kontrollieren. Das lässt er nun auch – bin zwar jetzt die humorlose Feministin für ihn, aber who the fuck cares. Das Beste ist, dass die Chefin hinter mir steht und es gerechtfertigt und in Ordnung fand, dass ich es meinem Kollegen gesagt habe (klar, das sollte immer so sein, aber wir alle wissen, dass das oft leider nicht der Fall ist). Außerdem habe ich in der Firma eingeführt, dass auf der Website, Flyern und Broschüren gegendert wird und betont wird, dass das Unternehmen „inhaberINgeführt“ ist. Und ich kann es aushalten, weil es „nur“ ein Kollege ist und die anderen Vertriebstypen nur gelegentlich da sind. Außerdem bin ich privat natürlich in meiner wunderbaren Bubble ohne Grundsatzdiskussionen und schlechtem Vertriebler(*innen)humor.

Unsere Bubbles sind wichtig, ohne sie wären wir verloren. Sie geben uns Halt und Orientierung, weil wir uns immer irgendwann und irgendwo mal anders fühlen werden. Hier habe ich nur zwei Bubbles beschrieben: die private und die Work-Bubble, aber es gibt noch mehr. Es gibt auch die Family-Bubble, die Hobbies-Bubble und viele andere Bubbles, die sich bilden können. Was eine Bubble ausmacht, ist nicht, dass wir immer Gleichgesinnte finden, sondern, dass wir ein- und austreten können und wissen, wie es in der Bubble funktioniert. Dann können wir entscheiden, ob und wie wir in ihr klarkommen. Unsere Toleranz, inwieweit wir was akzeptieren können, variiert von Mensch zu Mensch. Wenn zum Beispiel bei meiner Arbeitsstelle alle Stammtischsexisten wären und niemand hinter mir stehen würde, würde ich nicht mehr dort arbeiten können. Meistens sind wir auch nicht nur diese eine Person, auch wir haben so viele verschiedene Facetten, die wir in unterschiedlichen Bubbles finden können. Manchmal können wir auch nicht lange in einer Bubble bleiben, aber für eine kurze Zeit ist es super, um etwas zu lernen oder sich zu orientieren: Schule, zum Beispiel.

Wenn ich über meine Work-Bubble nachdenke, frage ich mich häufig, ob ich für immer in diesem Surrounding arbeiten kann? Die Antwort ist nein. Ist es momentan okay? Ja. Auch, weil ich froh bin, nicht so zu sein wie mein Kollege. Für die Zukunft wünsche ich mir allerdings einen Job, in dem ich keinem*r Kollegen*in sagen muss, dass das, was sie sagen sexistisch und/oder rassistisch ist und diese Basic-Diskussionen nicht führen muss. Die Frage ist nur: „Gibt es das?“

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